Bibliothek und Politik: BIS Kongress Luzern, 31.8.-3.9.2016

Bibliothek und Politik: BIS Kongress Luzern, 31.8.-3.9.2016

Der vierte Kongress des Verbandes BIS Bibliothek Information Schweiz fand dieses Jahr mit einer Rekordbeteiligung in Luzern statt. Ausschlaggebend für diesen Erfolg war nicht nur das Kongressthema «Bibliothek und Politik», sondern auch die explizite Ausweitung des Themenspektrums auf alle Bibliothekstypen.

Nach Kongressen in Lausanne, Konstanz und Lugano trafen sich dieses Jahr die Mitglieder des Verbandes BIS und weitere interessierte Kreise in Luzern zur zweijährlich stattfindenden Veranstaltung. Es mag auch am attraktiven Tagungsort Luzern gelegen haben, dass die Zahl der Teilnehmenden die 500er Marke weit überschritt und über 40 Ausstellende die Tagung nutzten, um mit ihren Kunden in Kontakt zu kommen. Hauptgrund war aber sicher, dass der Kongress ganz bewusst auf alle Bibliothekstypen ausgerichtet war. Das Kongressthema «Bibliothek und Politik» traf den Nerv der Zeit: Im Februar 2016 brachte ein Zeitungsinterview mit dem Direktor der ETH-Bibliothek Unruhe in die Bibliotheksszene («Weg mit den Büchern») und im Frühjahr hatten sich die Bibliotheken zum ersten Mal im nationalen Rahmen in grosser Zahl an der Vernehmlassung zum neuen Urheberrechtsgesetz beteiligt. Mobilisierendes Thema dieses Gesetzesvorschlags war die Einführung einer Bibliothekstantieme, die v.a. für kleinere Bibliotheken eine existenzielle Bedrohung darstellt. Weil der Verlauf des weiteren Gesetzgebungsprozesses am Kongress noch nicht bekannt war, wurde an der Generalversammlung, die zum ersten Mal am Tag vor dem Kongress abgehalten wurde, dem Vorstand Carte blanche erteilt für das Ergreifen des Referendums, sollte die Bibliothekstantieme trotz allem Widerstand in der Gesetzesvorlage verbleiben. Mit Applaus wurde an der GV ausserdem einem Vorschlag des Vorstandes zugestimmt, Peter Wille zum ersten Ehrenmitglied des Verbandes zu küren. Peter Wille hat 25 Jahre lang Bibliomedia geleitet und war in den 90er Jahren Präsident des BBS.

Zum Auftakt des Kongresses fand ein Podiumsgespräch statt, das den Bibliotheken eine Antwort auf die Frage geben sollte, ob und wie sie sich in den politischen Prozess einbringen sollten. Die Teilnehmenden, Isabelle Chassot, BAK, Dominique de Buman, CVP Nationalrat, Paul Rechsteiner, SP Ständerat, Res Schmid, SVP Regierungsrat, entpuppten sich alle als Freunde der Bibliotheken. Sie forderten die Bibliotheken auf, durchaus etwas lauter zu werden, sich aktiv in den politischen Prozess einzumischen und speziell die Verbände BIS und SAB, vermehrt Stellung zu beziehen, was Themen aus der Informationswelt betrifft, und - im Sinne der besseren Vernehmbarkeit – nur mit einer Stimme zu sprechen.

In den folgenden eineinhalb Tagen wurden in über 40 Veranstaltungen Themen behandelt, die aktuell die Bibliotheksszene beschäftigen. Es war die Rede von RDA, von Kooperationen, Verbünden und Vernetzung beim Metadatenmanagement und natürlich von den SUK2-Projekten der Swissuniversities. Wolfram Neubauer, der ehemalige Direktor der ETH-Bibliothek, berichtete über Vision und Realisierung der Swiss Library Service Plattform SLSP, während Rafael Ball, sein Nachfolger an der ETH, das Podium kurzfristig seinen Projektleiterinnen Pascalia Boutsiouci und Sabine Friedlein überliess, welche über die Nationallizenzen als eine mögliche Zukunftslösung im Open Access Bereich orientierten. Weitere Themen waren HOPE for Open Access, die Speicherbibliothek und der Lebenszyklus von Metadaten. Aus dem Hochschulbereich wurde zudem die Zusammenarbeit mit Wikimedia, Informationskompetenz, Prozessmanagement, Linked Data oder das Innovationsmanagement thematisiert. Die HEG stellte Open Street Map vor, in der Hoffnung damit die Sichtbarkeit der Schweizer Bibliotheken im Netz zu verbessern. BiblioFreak/AccroBiblio wurde als Beispiel einer Kampagne für Imagebildung präsentiert und was State of the Art bei der Schulung von Informationskompetenz oder bei Bibliothekseinführungen ist, wurde anhand von technischen Möglichkeiten (App) demonstriert.

Ob das Angebot am Tag der öffentlichen Bibliotheken nur für diese von Interesse war, sei dahingestellt. Es half sicher, eine gewisse Schwellenangst zu überwinden. Auch hier ging es um mobiles Lernen, um das Erreichen anderer Nutzergruppen, um das Thema Armut und Bibliothek oder um die Bibliotheksstrategien in den Kantonen AG, VS, SG und ZH. Aktuell und für alle Bibliotheken interessant war das Thema Bibliothek und Migration, das von Interbiblio präsentiert wurde. Angebote für Flüchtlinge oder Migranten sollten sich nicht nur auf die Ausleihe von Medien beschränken – auch ihnen soll das ganze Spektrum des Bibliotheksangebots zur Verfügung stehen. Auch weitere Referate, z.B. über Sponsoring mit einem Erfahrungsbericht aus Nürnberg oder über den Einsatz von Social Media bei den Büchereien Wien, waren nicht auf bestimmte Bibliothekstypen beschränkt. Hier galt wie bei vielen Veranstaltungen am Kongress: Der Blick über den Tellerrand der eigenen Bibliothek ist immer bereichernd. Dass Lobbying gar keine Grenzen kennt, auch keine beim persönlichen Engagement, schilderte Christoph Stuehn, Direktor Memoriav. Bibliothek und Politik pur war das Podium zum Nachrichtendienstgesetz, veranstaltet von der Gruppe Ethikkodex. Hätten sich die Bibliotheken im Vorfeld der Abstimmung stärker einmischen müssen? Leider hat man erst nach Annahme des Gesetzes am 25. September 2016 realisiert, dass Bibliotheken den Datenschutz für ihre Nutzerinnen und Nutzer nicht mehr in der Form garantieren können, wie das im BIS-Ethikkodex formuliert ist.

Am Kongress wurden ausserdem die Ergebnisse der Berufsfeld- und Bedarfsanalyse veröffentlicht, die von den beiden Trägerverbänden der I+D-Grundausbildung, BIS und VSA, in Auftrag gegeben wurde. Mit dieser Analyse wurde eruiert, ob ein Bedarf nach vertiefender Weiterbildung für Lehrabgänger ohne Berufsmatur besteht. Der Vorschlag, eine Berufsprüfung (Bildungsbereich Tertiär B) einzuführen, liegt nun bei den Verbänden. Weitere Informationen dazu finden Sie auf www.ausbildung-id.ch.

Den brillanten Schlusspunkt setzte Prof. Dr. Konrad Umlauf mit seinem Referat über Innen- und Aussensicht, Selbstbild und Fremdbild der Bibliotheken. Anlass für das Referat war das Projekt «Bibliosuisse», das alle Schweizer Bibliotheken und Informationsvermittlungsstellen und deren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in einem gemeinsamen Verband zusammenschliessen möchte. Umlauf trat, basierend auf seinen Verbands-Erfahrungen in Deutschland, für den Zusammenschluss der Verbände ein und forderte auf, sich dabei der Aussensicht bewusster zu werden. Er machte Mut, folgendes Motto zur Orientierung der bibliothekarischen Leitpolitik zu machen: Skepsis im Geist, Ruhe in der Seele und Tatkraft im Handeln.

Die einzelnen Referate, die hier nur ganz summarisch erwähnt sind, finden Sie frei zugänglich unter http://www.bis.ch/verband/aktivitaeten/kongress/2016-luzern/referate-vortraege.html.

Der nächste BIS-Kongress findet vom 29.8.-1.9.2018 Montreux statt.

Herbert Staub, hat über 20 Jahre in leitender Stellung im Bereich Dokumentation und Archive von SRF gearbeitet und ist heute selbständig. Er ist Präsident von BIS Bibliothek Information Schweiz, Vorsitzender der Ausbildungsdelegation I+D, Chefexperte I+D der Schulregion Zürich und Geschäftsführer von BiblioFreak Schweiz.