Danielle Kaufmann : Rechtsdienst Universitätsbibliothek Basel Wissenschaftliche Mitarbeiterin KUB, Präsidentin AG Urheber- & Datenschutzrecht BIS
Aktuelle juristische Herausforderungen für Bibliotheken und die wissenschaftliche Informationsversorgung
Das Schweizerische Urheberrechtsgesetz wird revidiert
2012 hat Bundesrätin Simonetta Sommaruga die Arbeitsgruppe „AGUR12“ einberufen und ihr den Auftrag erteilt, Vorschläge zu unterbreiten, wie das Urheberrechtsgesetz (URG) an das Internetzeitalter angepasst werden kann. Aufgrund des Schlussberichts der AGUR12(1), der Ende 2013 vorgelegt wurde, hat der Bundesrat im Juni 2014 das Institut für Geistiges Eigentum(2) (IGE) beauftragt, einen Entwurf für ein neues URG auszuarbeiten. Dabei sollte sich die Revision eng an die Vorschläge von AGUR12 halten und damit in erster Linie die Provider mehr in die Verantwortung nehmen bezüglich der Internetpiraterie und die Verwertungsgesellschaften zu mehr Effizienz und Transparenz anhalten. Als einzige konkrete Gesetzesanpassung und aus Sicht der Bibliotheken sehr erfreulich, hat AGUR12 zudem empfohlen das sogenannte „Bestandsverzeichnis“ als neue gesetzliche Erlaubnis einzuführen, um damit den Bibliotheken und Archiven die Anreicherung ihrer Onlinekataloge zu ermöglichen.
Das IGE hat in den vergangenen Monaten nun einen Entwurf erarbeitet, der Anfang 2016 in die Vernehmlassung gehen wird. Gewisse Anzeichen sprechen dafür, dass der Entwurf weit über die Empfehlungen von AGUR12 hinausgehen wird. Bereits feststeht, dass er bedauerlicherweise die Einführung der sogenannten Verleihtantieme vorsieht. Wahrscheinlich wird er aber auch einige gute Neuerungen enthalten wie eine Regelung für verwaiste Werke und eventuell das zwingende Zweitveröffentlichungsrecht und eine Regelung für das sogenannte Text and Data Mining.
Das „Bestandsverzeichnis“ erlaubt die legale Anreicherung der Bibliothekskataloge
Dank dem Internet können die Bibliotheksnutzenden heute unabhängig von Zeit und Ort auf die Online-Kataloge zugreifen. Und gleichzeitig ermöglicht der technologischen Wandel die Anreicherung der Bibliothekskataloge mit Auszügen aus den Werken wie Coverabbildungen, Zusammenfassungen, Inhaltsverzeichnisse, Klappentexte oder auch Ausschnitte von Ton- und Filmwerken. Das wertet die Kataloge stark auf, ist aber aus juristischer Sicht heikel, wenn man davon ausgeht, dass es sich bei diesen Werkauszügen mindestens teilweise um urheberrechtlich geschützte Werke handelt, die nicht ohne Einwilligung der Rechteinhaber online zugänglich gemacht werden dürfen. Da eine solche Anreicherung der Kataloge aber auch im Interesse der Urheber und Urheberinnen ist, denn ihre Werke werden dadurch sichtbarer und besser recherchierbar, hat AGUR12 einer entsprechenden einwilligungs- und vergütungsfreien neuen gesetzlichen Erlaubnis zugestimmt. Der neue Artikel wird gemäss Schlussbericht der AGUR12 in etwa folgendermassen lauten:
Art. 24d (neu) URG: Bestandsverzeichnisse
1Öffentlich zugängliche und öffentliche Bibliotheken, Bildungseinrichtungen, Museen und Archive dürfen in den zur Erschliessung und Vermittlung ihrer Bestände nützlichen Verzeichnissen kurze Auszüge aus den in ihren Beständen befindlichen Werken oder Werkexemplaren wiedergeben, sofern dadurch die normale Verwertung der Werke nicht beeinträchtigt wird.
2Als kurze Auszüge im Sinne von Absatz 1 gelten insbesondere folgende Werkteile:
a. Bei Werken der bildenden Kunst, insbesondere der Malerei, der Bildhauerei und der
Grafik, sowie bei fotografischen und anderen visuellen Werken: Gesamtansicht der
Werke in der Form kleinformatiger Bilder mit geringer Auflösung.
b. Bei Sprachwerken: Cover als kleinformatiges Bild mit geringer Auflösung, Titel, Frontispiz, Inhalts- und Literaturverzeichnis sowie Umschlagseiten (...).
c. … (Musik- und andere akustische Werke).
d. … (Filme und andere audiovisuelle Werke).
Bezüglich der Details von Ausschnitten von Ton- und Filmwerken konnte in AGUR12 noch kein Konsens gefunden werden, es ist aber davon auszugehen, dass der in Ausarbeitung stehende Gesetzesentwurf Lösungen auch für diese Werke enthält.
Die Bibliotheken lehnen eine zusätzliche Vergütung auf die Ausleihe von Werken ab
Bisher mussten die Bibliotheken in der Schweiz für das kostenlose Ausleihen der Werke aus ihren Beständen keine Vergütung an die Urheber zahlen. Das obwohl seit Jahren die Autoren und die Verwertungsgesellschaft ProLitteris immer wieder die Einführung einer sogenannten Verleihtantieme gefordert haben. Bisher verhalte diese Forderung jeweils wieder und auch AGUR12 hat erneut eine Einführung dieser Tantieme abgelehnt. Und dennoch hat das IGE nun eine solche in den URG-Entwurf aufgenommen. Der BIS hat gemeinsam mit dem Dachverband der Urheber- und Nachbarrechtsnutzer (DUN) dem IGE gegenüber bereits seine ablehnende Haltung kundgetan. Eine zusätzliche Verleihtantieme wird – entgegen der Aussage der Autoren und Autorinnen der Schweiz (AdS) – zulasten der Bibliotheksbudgets gehen, sei es direkt oder indirekt über eine entsprechende Kürzung von kantonalen Subventionen. Im Konkreten werden die allgemeinen öffentlichen Bibliotheken schwer unter einer zusätzlichen Vergütung leiden und in der Konsequenz bei der Erwerbung von Literatur Abstriche machen müssen und so ihren Auftrag nicht mehr vollumfänglich erfüllen können. Der Profit für den einzelnen Autor, die einzelne Autorin wird dagegen eher gering ausfallen und der grösste Teil der Einnahmen aus der Tantieme wird ins Ausland abfliessen. Besonders sinnwidrig ist es, eine Vergütung für die Ausleihe von wissenschaftlichen Werken zu erheben. Die meiste wissenschaftliche Literatur wird im Rahmen eines Anstellungsverhältnisses hergestellt, eine zusätzliche Vergütung an die Autoren ist daher nicht erforderlich. Im Gegenteil würde damit die öffentliche Hand, für die von ihr selber finanzierten Werke, ein zweites Mal in Form der Verleihtantieme bezahlen. Aus Sicht von BIS und DUN stellt die Einführung einer Verleihtantieme eine indirekte Kultur- bzw. Literaturförderung dar und sollte auch als solche bezeichnet werden und gehört in diesem Sinn nicht in das Urheberrechtsgesetz.
Besonders stossend wäre eine Verleihtantieme auf e-books. Diese werden, wie die allermeisten elektronischen Medien, lizenziert und nicht gekauft. Eine Ausleihe der e-books im juristischen Sinn findet daher nicht statt, sondern den Bibliotheken wird ein Nutzungsrecht eingeräumt. Die Lizenzverträge bzw. -gebühren enthalten bereits eine Vergütung für die Nutzung der e-books durch die Bibliotheksnutzer, mit einer Verleihtantieme würde diese Nutzung zu Lasten der Bibliotheken doppelt entschädigt. Eine Verleihtantieme ist somit juristisch für e-books nicht denkbar.
Sollte die Verleihtantieme trotz Widerstand der Bibliotheken Eingang finden ins neue Urheberrechtsgesetz, wird sich der BIS zusammen mit dem DUN dafür einsetzen, dass der dannzumal auszuhandelnde Gemeinsame Tarif für die Bibliotheken fair und finanziell tragbar bleibt.
Die Nutzung von verwaisten Werken wird möglich
Verwaiste Werke sind Werke, deren Urheber nicht bekannt oder nicht auffindbar bzw. nicht kontaktierbar sind. In den Beständen der kulturellen Gedächtnisinstitutionen finden sich grosse Mengen solcher verwaister Werke, ca. 10 – 15% aller urheberrechtlich geschützter Monographien und ca. 90 – 95 % der älteren Zeitungen und Zeitschriften sowie der Fotografien aus dem 20. Jahrhundert(3) fallen unter diese Kategorie. Diese Dokumente, die heute oft nur noch in Bibliotheken und Archiven vorhanden sind, können nicht oder nur sehr eingeschränkt in Form einer Digitalisierung genutzt werden. Vor allem ein öffentliches Onlinestellen ist in aller Regel nicht zulässig. Das geltende Recht kennt mit Art. 22b URG(4) zwar eine Regelung für die Verwendung verwaister Werke, aber nur eine für verwaiste Ton- und Tonbildwerke, welche zudem in den Beständen öffentlich zugänglicher Archive bzw. Archive der Sendeunternehmen sind. Für verwaiste Schrift-, Noten- und Bildwerke gibt es keine Regelung. Eine Vervielfältigung ist somit nur äusserst eingeschränkt, nämlich nur im Rahmen eines Eigengebrauchs möglich.
Für die URG-Revision konnte der BIS dem IGE Vorschläge zur Regelung des Umgangs mit verwaisten Werken unterbreiten. Für die Nutzung, insbesondere das Veröffentlichen und Online-Zugänglichmachen einzelner Werke schlägt der BIS die Erweiterung von Art. 22b URG auf alle Werkarten und auf Bestände aller öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Archive, Museen und Bildungseinrichtungen vor. Die Verwertung der so genutzten Werke wäre, in Übereinstimmung mit internationalem Recht und entsprechend dem bisherigen Art. 22b URG vergütungspflichtig, wobei diese Vergütung über die Verwertungsgesellschaften aufgrund eines Gemeinsamen Tarifs eingezogen würden. Das grundsätzliche Problem einer solchen Regelung bleibt jedoch bestehen, da weiterhin der jeweilige Urheber ausfindig gemacht werden muss. Hier ist jedoch noch offen, wie und unter welchen Kriterien eine solche Suche durchzuführen ist. Würde dies die gesetzliche Vorgabe sein, wäre eine Regelung, die auf der Abklärung jedes einzelnen Werkes beruht, für Digitalisierungsprojekte umfangreicher Bestände vollkommen unbrauchbar.
Aus diesem Grund hat der BIS zusätzlich eine sogenannte „Extended Collective Licensing“ (ECL), eine „erweiterte Kollektivlizenz“ nach skandinavischem Modell, vorgeschlagen. Grundlage einer ECL könnte eine gesetzliche Bestimmung im URG bieten, die es einzelnen Einrichtungen erlaubt, freiwillige Kollektivlizenzen mit Verwertungsgesellschaften abzuschliessen. Konkret würde das heissen, dass eine Bibliothek mit der jeweiligen Verwertungsgesellschaft für die Digitalisierung und das Onlinestellen eines umfangreichen Bestandes verwaister Werke einen Lizenzvertrag abschliessen könnte. Die Verwertungsgesellschaft würde dabei diese Werke kollektiv verwerten und der betroffenen Bibliothek das individuelle Verwerten und damit das Einholen einzelner Einwilligungen bei den betroffenen Urhebern und folglich das entsprechende individuelle Vergüten ersparen. Als „erweitert“ wäre die Kollektivlizenz insofern zu bezeichnen, da somit auch Werke von Urhebern und Urheberinnen verwendet werden könnten, die nicht Mitglied einer Verwertungsgesellschaft beziehungsweise unbekannt oder unauffindbar wären. Voraussetzungen für die ECL sind, dass die Verwertungsgesellschaft einerseits repräsentativ für die von der Vereinbarung erfassten Werkkategorien ist und andererseits den Nichtmitgliedern dieselbe Vergütung aus der Verwertung wie ihren Mitgliedern zukommen lässt. Bei der ECL wäre allenfalls die Möglichkeit eines sogenannten Opting outs zu prüfen, um Urhebern und Urheberinnen die Möglichkeit einzuräumen, ihre Werke von einer entsprechenden Vereinbarung auszuschliessen. Eine Verwendung im Rahmen einer ECL wäre wie die Verwertung nach Art. 22b URG vergütungspflichtig. Allerdings würde deren Höhe durch die nutzende Institution, wie auch die Art der Verwendung vertraglich ausgehandelt und nicht in einem Gemeinsamen Tarif festgesetzt.
Förderung von Open Access bedingt ein zwingendes Zweitveröffentlichungsrecht
Die Essenz in Forschung und Wissenschaft ist der rasche und offene Austausch gewonnener Erkenntnisse. Nach schweizerischem Recht übertragen Autoren und Autorinnen in der Regel die Rechte an ihren Werken einem Verlag, der die Publikation – sei es gedruckt oder auch nur digital - vornimmt. Mit dieser meist umfassenden und bedingungslosen Rechteübertragung verlieren die Autoren die Möglichkeit, ihre Werke in einem Repositorium oder auf der eigenen Homepage zusätzlich zu veröffentlichen. Zwar wäre es durchaus möglich sich im Verlagsvertrag ein Recht auf eine Zweitveröffentlichung vorzubehalten, aber da die entsprechende gesetzliche Regelung nach Art. 382 Abs. 2 und 3 OR(5) keinen zwingenden Charakter hat, können Verlage daher einem Urheber das Recht zur Zweitveröffentlichung untersagen. Dies wird durch das teilweise mangelnde Wissen der Autoren und Autorinnen und das ungleiche Machtverhältnis zwischen Urhebern und Verlagen begünstigt. Zudem ist das Publizieren in renommierten herkömmlichen Zeitschriften nach wie von entscheidender Bedeutung für eine wissenschaftliche Karriere.
In der Berliner Erklärung über den offenen Zugang zu wissenschaftlichem Wissen vom 22. Oktober 2003(6)verpflichteten sich die Schweizerischen Universitäten, die Hochschulbibliotheken und auch der Schweizerische Nationalfonds den offenen und freien Zugang zum wissenschaftlichen Wissen an ihren Einrichtungen zu fördern und zu ermöglichen. Um diese Zielsetzung durchzusetzen, braucht die Wissenschaft rechtliche Rahmenbedingungen, die eine Zweitveröffentlichung von wissenschaftlichen Werken und Forschungsdaten vertraglich unabdingbar ermöglichen. Es müsste also die bestehende verlagsvertragliche Regelung des ZGB so ausgestaltet werden, so dass das Zweitveröffentlichungsrecht des Autors, der Autorin nicht mehr vertraglich wegbedungen werden kann. Konkret könnte eine entsprechende Regelung folgendermassen lauten:
Art. 382
3bis (neu) Wissenschaftliche Werke, die ganz oder teilweise mit öffentlichen Mitteln finanziert wurden, können nach Ablauf von 3 (allenfalls nach 6 oder 12) Monaten nach der Erstpublikation vom Verlaggeber online allgemein zugänglich gemacht werden.
Eine solche Lösung zugunsten des Urhebers, der Urheberin wäre ein erster Schritt in die richtige Richtung, würde aber das Problem nicht in jedem Fall lösen, da der Urheber das Recht, aber nicht die Pflicht hätte, sein Werk zusätzlich zur Verlagspublikation zu veröffentlichen.
Um der Wissenschaft den freien Zugang zum Werk des Urhebers tatsächlich zu ermöglichen, schlägt daher die Konferenz der Schweizerischen Universitätsbibliotheken (KUB) zusammen mit dem DUN eine neue Schrankenregelung im URG vor, die es den Repositoriumsbetreibern die Möglichkeit gäbe, veröffentlichte wissenschaftliche Werke, nach einer bestimmten Embargofrist nach der Erstveröffentlichung, online frei zugänglich zu machen. Der Vorschlag der KUB lautet, mit kleinen sprachlichen Änderungen und einer verkürzten Embargofrist, in Anlehnung an Prof. Dr. Reto M. Hilty(7):
Art. xx (neu) Zweitveröffentlichungsrecht
1Wissenschaftliche Werke, die in Zeitschriften veröffentlicht und überwiegend mit öffentlichen Mitteln finanziert worden sind, dürfen nach Ablauf von 6 Monaten nach der Veröffentlichung allgemein zugänglich gemacht werden, sofern damit kein kommerzieller Zweck verfolgt wird.
2Wer Werke nach Absatz 1 zugänglich macht, schuldet dem Rechteinhaber hierfür eine Vergütung. Die Vergütungsansprüche können nur von zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden.
Der technologische Fortschritt fordert das URG weiter heraus – „Text and Data Mining“
Text and Data Mining (TDM) ist ein Prozess, mit dem Informationen aus maschinengelesenem Material abgeleitet wird. TDM funktioniert durch Kopieren von grossen Mengen an digitalen Materialien, Extraktion der Daten, Analyse und Neuzusammensetzung, um dabei Muster zu erkennen(8).
Diese Definition von LIBER und der britischen Regierung spielt vor dem Hintergrund, dass die wissenschaftliche Forschung heutzutage mehr Texte und Daten hervorbringt, als normale Wissenschaftler mit klassischen Lese- und Analysemethoden verarbeiten können. Dies betrifft zunehmend alle Forschungsgebiete, insbesondere datenintensive wie Life Sciences, Technik und andere Naturwissenschaften. Computerbasierte Methoden können viel grössere Mengen an Texten aus wissenschaftlichen Publikationen erfassen und Erkenntnisse aus Satzmustern ableiten, als ein Forscher, der traditionell eine Arbeit nach der anderen liest und in seinem Geist analysiert. Mit TDM können beispielsweise Wechselwirkungen von Proteinen über tausende von Publikationen erfasst und kartiert werden. Oder es werden neue Anwendungen von bestehenden Medikamenten systematisch festgehalten. Diese Resultate haben direkte Bedeutung für Krankheiten wie Krebs und zeigen, wie TDM den Fortschritt der Wissenschaft exponentiell beschleunigt. Voraussetzung für TDM ist, dass Forscher Zugang zu digitalen oder digitalisierten Werken haben, und die Texte und Daten wie eingangs beschrieben (mindestens vorübergehend) vervielfältigen, lokal speichern und analysieren dürfen und die daraus gewonnenen Erkenntnisse sowie Textpassagen publizieren können. Aus urheberrechtlicher Sicht geht TDM über den zulässigen Eigengebrauch hinaus und setzt die Einwilligung des Rechteinhabers an den zu nutzenden Werken und allenfalls geschützten Daten voraus. Da TDM aber in der Regel unzählige Werke umfasst, ist das Einholen von Einwilligungen gar nicht möglich. Im Weiteren werden viele der zu nutzenden Werke und Daten von wissenschaftlichen Verlagen über Lizenzen angeboten. Die entsprechenden Lizenzverträge lassen aber TDM nicht, nur beschränkt zu oder nur gegen zusätzliche Lizenzgebühren.
Aus diesem Widerspruch führt aus Sicht der Wissenschaft nur der Grundsatz: the right to read is the right to mine (Das Recht, Werke zu lesen, ist das Recht, sie mit TDM zu bearbeiten). Daher schlägt die KUB und der DUN für das Text and Data Mining eine weitere neue gesetzliche Lizenz im Urheberrechtsgesetz vor:
Art. xx (neu) Verwendung wissenschaftlicher Werke
1Werke dürfen für die wissenschaftliche Forschung vervielfältigt und bearbeitet werden.
2Die aus der Verwendung der Werke nach Abs. 1 gewonnenen Erkenntnisse und Werkbestandteile dürfen zugänglich gemacht werden.
3Wer Werke nach diesem Artikel verwendet, schuldet dem Urheber oder der Urheberin hiefür eine Vergütung. Die Vergütungsansprüche können nur von zugelassenen Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden.
Neuverhandlungen der Gemeinsamen Tarife 8 & 9
Nach Art. 20 Abs. 2 URG werden Nutzer und Nutzerinnen, die im Rahmen ihres Eigengebrauchs nach Art. 19 URG von veröffentlichten, urheberrechtlich geschützten Werken Vervielfältigungen herstellen, gegenüber den Inhabern der Urheberrecht vergütungspflichtig. Diese Vergütungen sollen die Urheber für die massenweise Nutzung ihrer Werke entschädigen. Geltend werden die Vergütungen durch unter Bundesaufsicht stehenden Verwertungsgesellschaften im Rahmen der sog. Gemeinsamten Tarife (GT) gemacht.. Die für Bibliotheken relevanten GT 8 und 9 sind in zahlreiche Teiltarife unterteilt. Hier von Bedeutung sind die Bibliothekstarife GT 8 II und 9 II und die Schultarife GT 8 III und 9 III. Der GT 8 regelt die Reprografie auf Papier ab gedruckter oder digitaler Vorlage und der GT 9 bezieht sich auf die Nutzung von Werke in digitaler Form in betriebsinternen Netzwerken. Um eine einfache, praktikable und berechenbare Erhebung zu ermöglichen sehen die Reprografietarife eine pauschale Vergütung für den bibliotheks- bzw. schulinternen Gebrauch je nach Anzahl an Angestellten bzw. Schülern vor. Sofern auch Reprografien im Auftrag eigenberechtigter Nutzer gemacht werden, kommt zu der pauschalen eine individuelle Vergütung hinzu, die sich an der Anzahl getätigter Kopien bzw. am Ertrag aus diesen bemisst.
Die aktuellen GT 8 und 9 laufen nach der üblichen Frist von 4 Jahren per Ende 2016 aus. Es stehen nun die Verhandlungen für die nächste Laufzeit zwischen den Urheberrechtsnutzern und den Verwertungsgesellschaften an.
Eine der zentralen Frage wird sein, ob sich der Papierverbrauch durch den technologischen Wandel tatsächlich verringert bzw. die digitale Verwendung der Werke zugenommen hat. Von dieser Frage will die zuständige Verwertungsgesellschaft ProLitteris die Festsetzung der neuen Tarifhöh abhängig machen, obwohl der Papierverbrauch bzw. der Umfang der digitalen Nutzung nicht ausschliesslich die Höhe der Tarife bestimmen. Die Festlegung der Vergütungssätze im GT 8 ist komplex konstruiert und setzt sich aus der Vergütung pro Kopie und einem prozentualen Anteil der urheberrechtlich geschützten Vorlagen in der jeweiligen Branche [sog. Branchenkoeffizient] bzw. von den Nutzern in einem Jahr angefertigten Gesamtkopienmengen zusammen. Beim GT 9 hingegen ist die Berechnung schon rein aus technischen Gründen kaum machbar, da das digitale Vervielfältigen nicht erfasst werden kann. Daher hat man sich beim GT 9 bisher darauf geeinigt, diesen als Faktor der Ansätze des GT 8 zu berechnen. Aktuell beträgt der Faktor 0,5. ProLitteris zielt auf eine Erhöhung des GT 9 ab, bei unverändertem Betrag beim GT 8. Es wird sich zeigen, ob die Nutzerseite, unter anderem der DUN, der BIS und die Erziehungsdirektorenkonferenz (EDK) sich gegen eine Erhöhung erfolgreich wehren können werden. Es bedarf wohl einer gut nachvollziehbaren Begründung, warum die Vergütung für eine digitale Kopie teurer werden sollte, nur weil die Möglichkeit besteht, allenfalls mehr Kopien herzustellen. Es ist sicherlich so, dass ein und das selbe Dokument mehrfach kopiert und gespeichert wird, sei es einmal auf einem Server, einer Wechselfestplatte zur Sicherung und schliesslich vielleicht noch in einer Cloudablage, doch würde hier eine jeweilige Vergütung bei jedem einzelnen Vervielfältigungsvorgang über das Ziel hinausschiessen. Hinzu kommt, dass bei einer Erhöhung des GT 9 folglich der GT 8 entsprechend verringert werden müsste, da man wohl davon ausgehen kann, dass weniger auf Papier kopiert werden dürfte.
Neben der Tarifhöhe geht es bei den Tarifen auch darum, für welche Verwendung im Detail die Tarife gelten und welche Nutzungsformen sie umfassen. Grundsätzlich decken die GT 8 und 9 das gesetzlich erlaubte Vervielfältigen urheberrechtlich geschützter und veröffentlichter Werke innerhalb des Eigengebrauchs gemäss Art. 19 Abs. 1 lit. b und c URG in Verbindung mit 20 Abs. 2 URG ab, wobei gemäss Art. 19 Abs. 2 URG derjenige, der zum Eigengebrauch berechtigt ist, die dazu erforderlichen Kopien auch durch Dritte, wie Bibliotheken herstellen lassen kann. Die GT erlauben aber darüber hinausgehende Nutzungen: So dürfen entgegen der gesetzlichen Regelung auch Musiknoten und Fotografien kopiert werden, allerdings nur unvollständig, was generell für alle Werke gilt, aber bei Fotografien und Musiknoten aus Sicht der Nutzer völlig unsinnig ist. Weitere zusätzliche Nutzungen, die über den Eigengebrauch hinausgehen sollen, sind zwar angesprochen, aber so unklar umschrieben, dass nicht ersichtlich wird, um welche Nutzung es sich handeln könnte. Insgesamt sollten daher bei den laufenden Tarifverhandlungen die verwendeten Begrifflichkeiten und die umschriebenen Nutzungen in den GT 8 und 9 kritisch überprüft und allenfalls korrigiert werden.
Ein weiteres wichtiges Thema der Tarife sind die sogenannten Mehrfachbelastungen. Nach Art. 19 Abs. 3bis URG sollten auf Vervielfältigungen, die beim Abrufen von legal zugänglich gemachten Werken entstehen, keine zusätzlichen Vergütungen nach GT 8 und 9 geltend gemacht werden. Dieser bei der letzten URG-Revision 2007 eingefügte Artikel bezweckt, dass der Nutzer, welcher beispielsweise im Internet mit der Einwilligung des Urhebers ein Werk in einem Download abspeichert und damit vervielfältigt, sei es gegen Entgelt oder unentgeltlich, dafür keine weitere Vergütung bezahlen muss. Diese gesetzliche Regelung ist bis anhin nie richtig umgesetzt worden, weshalb im Rahmen der laufenden URG-Revision eine Präzisierung erforderlich ist. Ziel muss insbesondere sein, dass Nutzungen von lizenzierten Werken wie e-Journals explizit von einer nochmaligen Vergütung an die Verwertungsgesellschaften ausgenommen sind, da in aller Regel mit der Bezahlung der Lizenzgebühren, die Nutzung bzw. das Downloaden bereits vergütet ist. In den aktuellen Tarifverhandlungen muss ebenfalls auf diese Problematik hingewiesen werden, auch wenn das neue URG erst im Verlauf der nächsten Laufzeit der Tarife 8 und 9 in Kraft treten wird.
Fazit
Der technologische Wandel betrifft die Bibliotheken und die wissenschaftliche Informationsversorgung auch in juristischer Hinsicht existenziell. Daher ist es von zentraler Bedeutung, dass sich alle betroffenen Institutionen aktiv und kompetent in die Vernehmlassung zum neuen Urheberrechtsgesetz anfangs 2016 einbringen. Ebenfalls wichtig ist, dass sich die Bibliotheken mit anderen kulturellen Gedächtnisinstitutionen, wie Archive und Museen, aber auch mit der Wissenschaft und Forschung vernetzen, um gemeinsam für ein neues Urheberrechtsgesetz in ihrem Interesse einzustehen.
Noten
(1) https://www.ige.ch/fileadmin/user_upload/Urheberrecht/d/Schlussbericht_der_AGUR12_vom_28_11_2013.pdf
(3) vgl. dazu Assessment of the Orphan works issue and Costs for Rights Clearance, Anna Vuopala, European Commission, DG Information Society and Media, Unit E4 Access to Information, May 2010; http://www.ace-film.eu/wp-content/uploads/2010/09/Copyright_anna_report-1.pdf
(4) Art. 22b Nutzung von verwaisten Werken
1 Die zur Verwertung von Ton- oder Tonbildträgern erforderlichen Rechte können nur über zugelassene Verwertungsgesellschaften geltend gemacht werden, wenn:
a. die Verwertung Bestände öffentlich zugänglicher Archive oder von Archiven der Sendeunternehmen betrifft;
b. die Rechtsinhaber oder -inhaberinnen unbekannt oder unauffindbar sind; und
c. die zu verwertenden Ton- oder Tonbildträger vor mindestens zehn Jahren in der Schweiz hergestellt oder vervielfältigt wurden.
2 Die Nutzer und Nutzerinnen sind verpflichtet, den Verwertungsgesellschaften die Ton- oder Tonbildträger mit verwaisten Werken zu melden.
(5) Art. 382 Verfügung des Verlaggebers
1 ...
2 Zeitungsartikel und einzelne kleinere Aufsätze in Zeitschriften darf der Verlaggeber jederzeit weiter veröffentlichen.
3 Beiträge an Sammelwerke oder grössere Beiträge an Zeitschriften darf der Verlaggeber nicht vor Ablauf von drei Monaten nach dem vollständigen Erscheinen des Beitrages weiter veröffentlichen.
(6) http://openaccess.mpg.de/Berliner-Erklaerung
(7) Hilty/Seemann, Open Access – Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen im schweizerischen Recht, Rechtsgutachten im Auftrag der Universität Zürich, 2009, S. 96